„Man muss auch mal nerven!“ – rief Sissi Pitzer in der Diskussion aus, als es um das Engagement von Quote Pro und die Forderung nach gleich viel Frauen wie Männern in den Führungsetagen der Medienhäuser ging. Zugegeben: Diese Diskussionen mögen nerven, müssen aber wieder und immer wieder geführt werden, bis eine Gleichberechtigung hergestellt ist. Im Presseclub München diskutierten Prof. Dr. Romy Fröhlich, Dr. Ulrich Berls, Sissi Pitzer und Jürgen Enninger.
Johanna Bayer konnte als Moderatorin im sehr gut besuchten Presseclub begrüßen und lieferte einige Eckdaten zu Beginn: Medien gelten eigentlich als progressiv, aber bei Frauen ist eine gleiche Anstellung noch in weiter Sicht: Mehr als knappe 40 Prozent werden es im Printbereich nicht (Ausnahme taz: 50 Prozent), im Bereich Online und Social Media sind die Zahlen geringfügig höher. Im bundesweiten Vergleich fällt zudem auf, dass gerade im reichen Süden (Bayern, Baden-Württemberg) noch weniger Frauen in Führungsaufgaben sind als im Rest der Republik. (Bayern: Zwei Chefredakteurinnen!). Der Gender Pay Gap, also die Differenz zwischen dem, was Frauen und Männer verdienen: Im Bundesmittel 20-23 Prozent. Bei Berufsanfängern sind Tagessätze zwischen 120 und 150 Euro üblich, und: Frauen verdienen (oh Wunder? oh Wunder!) auch da weniger. Nach Auskunft des Deutschen Journalistenverbandes liegt das aber auch daran, dass Frauen in anderen Zeitmodellen arbeiten (wollen).
Prekariat, überlaufen, fallende Löhne
Und gerade in diesen unruhigen Zeiten scheint der Beruf der Journalistin zudem unattraktiver geworden zu sein: Wenn man sich die Kommentarspalten anschaut, dann sind unter den zehn meist kommentierten Beiträgen acht von Frauen verfasst. Und gerade die werden in unflätiger Weise kommentiert. Ein weiterer Grund, dass Frauen nicht in der Führungsetage zu finden sind, meint Sissi Pitzer, dass Frauen einfach lieber gut schreiben, Geschichten erzählen, filmen wollen und weniger Verwaltungskram haben wollen. Dazu kommt, und da stimmt Ulrich Berls (ehemals ZDF) zu, die hohe Arbeitsbelastung. Eine Führungsaufgabe sei eben nicht mit 40 Stunden in der Woche zu erledigen, mit 60 und mehr Stunden müsse man rechnen. Die norwegische Lösung, so Pitzer, sei ein nachdenkenswertes Modell: No Meeting after 5. Dann bleibe auch Zeit für die Familie. Ein Ansatzpunkt für Berls: Der machte grade jungen Paaren einen Vorwurf: Sie könnten ruhig beide arbeiten, müssten sich aber darüber klar sein, dass nur einer Karriere machen könne. Und bei der Arbeitsbelastung sei auch klar, dass Reporter mit Einsatz am Wochenende und zur Nacht in Konjunktion mit Familie einfach nicht gehe – wenn nicht andere Familien-Modelle gefunden würden. Aus seiner Erfahrung sei Studioleitung beim ZDF als Frau noch erreichbar, aber auf der Ebene bis zum Intendanten eigentlich noch nie weiblich besetzt worden.
Die Freundlichkeitsfalle
Warum, so Romy Fröhlich, stoßen dann aber auch Frauen ohne „Reproduktionspflichten“ – also kinderlose Frauen (oder die, die die Kinder schon groß gezogen haben) an den gläsernen Deckel auf den Hierarchiestufen? Einerseits, das zeigen Fröhlichs Forschungen zum Thema Medien und Gender, hätten Frauen keine Lust auf die Art Führung, die bei uns gelebt wird. Sie sähen auch selber, dass sie als Abziehbild männlicher Verhaltensweisen eher komisch als mutig gelten. Und wenn sie mal auf den Tisch hauten, gälten sie gleich als Mannweib oder Bitch. Romy Fröhlich bezeichnet das als Freundlichkeitsfalle. Es sei dieses Heraustreten aus weiblichen Gesten, das die männliche Konkurrenz oder Gefolgschaft gar nicht goutiere. Auch Jürgen Enninger steuerte interessante Erkenntnisse bei: Menschen definierten sich über das, was sie nicht könnten. Diese Erkenntnisse ziehe er aus der Besetzung vieler Panels und Podien im Bereich der Kreativwirtschaft der Stadt München. Denn obwohl gerade die Kreativbranche weiblich geprägt sei, könne man auf vielen Podien dennoch einen Männerüberschwung beobachten. Frauen fragten eher mal zurück ob sie denn qualifiziert seien, Männer würden sogar zusagen, ohne das Thema zu kennen. Impulsiv stimmte Sissi Pitzer zu und bekräftigte, dass sie es konsequent ablehne, Podien zu moderieren, die nicht mindestens paritätisch besetzt seien. Enninger verwies zudem auf einen Ausweichbereich, in dem sich viele Frauen tummeln würden: Start ups. Wohl auch deswegen, weil hier Arbeitszeiten und -modelle (teils) noch selbst bestimmt werden könnten oder an die persönlichen Bedürfnisse angepasst würden. In einer munteren Diskussion mit dem zahlreich anwesenden (nach Geschlecht und Alter sehr gut gemischtem) Publikum kristallisierten sich weitere Gründe heraus: Frauen, die erfolgreiche Großmütter und Mütter hatten, sind selber erfolgreicher, Frauen, die konsequent gefördert wurden, erklimmen die Karrierestufen eher und höher als vergleichbare Frauen, die einfach so in den Job rutschten.
„Nebenherjournalismus“ oder Start up?
Und der „Nebenherjournalismus“ an der Seite eines erfolgreichen Bankers sei auch nicht das, was erstrebenswert sei und auf Dauer die Einkommenssituation von Frauen verbessern würde. Fazit: Mentoringprogramme, Promotionen, Förderung sind für Frauen notwendig, dass sie die gleichen Chancen haben wie Männer. Und erst dann, das wurde auch nochmal deutlich, schlage die Quotenregelung zu: bei gleicher Qualifikation. Noch ein Thema kam ausgiebig zur Sprache: Die Politik und ihre gut gemeinte Steuerung und Versorgung der Familie. Ein Blick in die (pre-trump’sche) USA und das benachbarte Europa zeige, dass Frauen, die nicht fünf bis sechs Jahre nach der Geburt beim Kind blieben, die nicht zwischen Kita und Erziehungszeit wählen müssten, die, wie in den Niederlanden, nach drei Monaten entscheiden müssten: Kind oder Karriere, dass diese Frauen eher Karriere machen würden. Und das sei, so warf Johanna Bayer ein, auch bei jüngeren Frauen so.
Viel Stoff zum Nachdenken – über Rollenbilder, unseren Umgang damit, über Gleichberechtigung, Chancen und Aufstieg. Wenn wir nicht drüber nachdenken, reden und entsprechend handeln, dann droht vor allen den meisten Frauen das Prekariat. Und deswegen muss genervt werden. Immer und immer wieder.